Sommersemester 2019

Flugblätter

Mit Verstand
Mit Leidenschaft

„Die Gefühle malen nicht nur ein Kapitel der Dogmatik volkstümlich aus, ihnen gebührt im Christentum in mehrfacher Hinsicht ein eigener Rang. (...) Auch solche Übungen sind mehr als eine fromme Hilfestellung für Leute, die Schwierigkeiten haben, den Sinn der Sache allein mit ihrem Verstand zu begreifen. (...) Man kann die christliche Religion als Gefühlsreligion bezeichnen. (...) Ebenso wie der christliche Glaube arbeitet auch die christliche Ethik mit der Kraft der Emotion. Die bloße Erfüllung der Norm ohne Beteiligung des Herzens wäre zu wenig.“

Reinhard Bingener, „Mit Gefühl“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 18. 4. 2019, S. 1 (Leitkommentar zu Ostern).

 

„Der Konsument ist nicht freier als der Produzent. Seine Meinung hängt ab von seinen Mitteln und seinen Bedürfnissen. Beide werden durch seine soziale Lage bestimmt, die wiederum selbst abhängt von der sozialen Organisation. Allerdings, der Arbeiter, der Kartoffeln kauft, und die ausgehaltene Mätresse, die Spitzen kauft, folgen beide nur ihrer respektiven Meinung; aber die Verschiedenheit ihrer Meinungen erklärt sich durch die Verschiedenheit ihrer Stellung, die sie in der Welt einnehmen und die selbst wiederum ein Produkt der sozialen Organisation ist.“

Karl Marx, „Das Elend der Philosophie“, geschrieben 1847, erschienen 1885, Marx-Engels-Werke (MEW) Band 4, S. 75.

 

„Das »Menschliche« steht hierzulande im leichten Ludergeruch der Unordnung, der Aufsässigkeit, des unkontrollierbaren Durcheinanders; der Herr Obergärtner liebt die scharfen Kanten und möchte am liebsten bis Dienstschluß alle Wolken auf Vorderwolke anfliegen lassen, bestrahlt von einer quadratischen Sonne...“

Kurt Tucholsky, „Das »Menschliche«“, 1928.

Eine bemerkenswerte Notwehr des Konservativen: Für den Leitkommentator der „Zeitung für Deutschland“ (siehe erstes Zitat) ist christliche Ethik keine soziale Frage (siehe zweites Zitat), sondern eine nationale Frage („Erfüllung der Norm“), also eine Frage des verinnerlichten Gehorsams (siehe drittes Zitat). Die Ostertage – Kreuzigung und Auferstehung Jesu in der biblischen Erzählung – als gefühlvolles Ordnungselement. „Arbeite, bete, spare“. Christliche – auch als humanistische respektive soziale – Ethik nicht als Haltung und Handlung für Frieden (z. B. in den friedenspolitischen Ostermärschen), gesellschaftliche und internationale Gerechtigkeit (Sozialstaat und offene Grenzen), für Demokratie (Ausbau der Mitbestimmung, betrieblich und institutionell), echten Umweltschutz (Regulierung der Industrie), kritisches Engagement, Fairneß und Kooperation als kulturelles Prinzip (aufgeklärte Änderung der Gewohnheiten und des Alltags).

Weil das Gang und Gäbe von Wirtschaft, Medien und Politik in der ungerechten Gesellschaft zunehmend tatsächlich in Frage gestellt wird, soll mehr und mehr auf die Emotionalisierung von Normen, die die Zustimmung zum ungenügenden Ganzen aufrecht erhalten sollen, gesetzt werden.

Dabei seien Bescheidenheit und die Anerkennung der Alternativlosigkeit sowie das Vertrauen darauf, die Oberen würden es schon richten, die ersten Bürgerpflichten.

Nun wachsen aber seit geraumer Zeit die gemeinsam vertretenen Ansprüche auf ein besseres gesellschaftliches Leben. Auf diese Weise kommen die Menschen mehr in Einklang mit sich selbst und ihren sozialen, politischen und kulturellen Bedürfnissen. So werden auch Verstand und Emotionalität zueinander stimmig. Die Hoffnung wächst mit ihrem Gelingen.

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Für mehr Engagement
Ein Plädoyer

„Ja, das Erbe der Gesamtheit
Wird dem einzelnen zur Beute,
Und von Rechten des Besitzes
Spricht er dann, von Eigentum!“

Heinrich Heine, „Atta Troll“, Caput X, 1842.

 

„»Manchmal brocken wir Menschen es uns selbst ein.« Der Ministerpräsident [von Schweden] spricht in einer Liveübertragung aus dem Reichstagsgebäude über das Klima. »Er lügt«, sagt Greta und steht vom Sofa auf, das vor dem Fernseher steht. »Er lügt!« »Warum denn«, frage ich [die Mutter]. »Er sagt, wir Menschen wären diejenigen, die es uns eingebrockt haben, aber das ist nicht wahr. Ich bin ein Mensch, und ich habe uns nichts eingebrockt. Beata [die Schwester] hat uns auch nichts eingebrockt und du oder Papa auch nicht.« »Nein, du hast recht«. »Er sagt das nur, damit wir so weitermachen wie immer, denn wenn alle schuld sind, ist niemand schuld. Aber irgendjemand muß schuld sein, also stimmt es nicht, was er sagt. Es gibt doch nur ein paar hundert Firmen, die für den gesamten CO2-Ausstoss stehen. Und es gibt nur wenige sehr extrem reiche Männer, die Tausende Milliarden dadurch verdient haben, den ganzen Planeten zu zerstören, obwohl ihnen die Risiken bekannt waren. Also lügt der Ministerpräsident, genau wie alle anderen.«“

„Diese Thunbergs“, ein gemeinsames Buch der Familie Thunberg, Vorabdruck in: „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 28.4.2019, Seite 9 und 10, hier Seite 10.

„Solidarität ist kein nachwachsender Rohstoff. Sie bleibt nicht einfach da unter völlig geänderten Arbeitsbedingungen.“ – So Heribert Prantl („Süddeutsche Zeitung“, 27.4.’19) in seinem aufrüttelnden Kommentar zum 1. Mai. Dieser gesetzliche Feiertag („Internationaler Tag der Arbeiterbewegung“) existiert in dieser Zuordnung seit 100 Jahren.

Er ist ein politisches und symbolisches Ergebnis der Novemberrevolution von 1918/1919, die letztlich den Ersten Weltkrieg beendet, das monarchische System überwunden sowie die soziale Demokratie (Wahlrecht für Alle, Sozialstaatlichkeit, 8-Stundentag, Mitbestimmungsrechte) auf die gesellschaftliche Tagesordnung gesetzt hat.

Diese Maßstäbe und Errungenschaften sind immer wieder neu, d.h. auf dem jeweiligen Entwicklungsniveau, zu sichern und anspruchsvoll zu realisieren bzw. zu erweitern. Insofern ist Solidarität eine dauerhafte Produktion gesellschaftlicher Menschlichkeit. Für würdige und den Möglichkeiten angemessene soziale und kulturelle Lebensbedingungen, die das (rationale und nachhaltige) gesellschaftliche Verhältnis zur Natur und gerechte, gleichfalls zivile internationale Beziehungen einschließt.

Solidarität basiert auf Aufklärung (Einsicht, Aussicht, Alternative), historischer Erfahrung (Ansprüche, Widersprüche), sich entwickelnden Persönlichkeiten (weg vom Sofa, hin zu kooperativem, gesellschaftlich relevantem Handeln) und dem Mut, sich gegen vielerlei Einreden und Irritationen seines eigenen Verstandes zu bedienen sowie auf die gemeinsame Lernfähigkeit und solidarische Wirkungsweise als Tatsachen zu vertrauen. Bei aller befürwortenswerten Verschiedenheit macht das die Menschen gleich und bildet aktiv ihre Würde. Wenn dann noch Humor hinzukommt, läßt sich vom Gelingen sprechen. (Weitersagen!)

„Aber so ist das im Leben:
Das Schönste vom Sonntag ist der Sonnabend Abend.“

Kurt Tucholsky, „Sonntagsmorgen, im Bett“, 1928.

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Positive Freiheit
Zum aktiven Verständnis des Grundgesetzes

„Die Wahrheit soll ans Licht – aber wenn der Journalismus bei der Aufdeckung stehen bleibt, macht er nur die halbe Arbeit. Die Aufdeckung von Skandalen hat oft Krisen zur Folge: Regierungskrisen, Staatskrisen, die Krise einer Bank, die Krisen eines Unternehmens. Nicht die Krise ist gefährlich, gefährlich ist das Versagen bei ihrer Aufarbeitung und Bewältigung. Guter Journalismus geht daher über das Aufdecken hinaus. Er ist Moderator und Motor für Veränderungen, die die aufgedeckten Missstände abstellen. Das ist so wichtig wie das Aufdecken. Das ist Pressefreiheit.“

Heribert Prantl, „Artikel 5 / Wasseradern der Demokratie“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 3. 5. 2019 (Kommentar zu 70 Jahre Grundgesetz am 23. Mai.)

 

„Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muß durch ihren Kopf hindurch; aber welche Gestalt es in diesem Kopf annimmt, hängt sehr von den Umständen ab.“

Friedrich Engels, „Ludwig Feuerbach und der Ausgang der klassischen deutschen Philosophie” (1888), Marx-Engels-Werke (MEW), Band 21, S. 298.

Zu bedenken ist: Das Grundgesetz vom 23. Mai 1949 bildet wesentlich eine positive Antwort auf die fundamental negativen gesellschaftlichen Erfahrungen von Diktatur, Weltkrieg und unmenschlicher Massenvernichtung (1933–1945).

Mit der Befreiung vom Faschismus (datierbar auf den 8. Mai 1945) wurden neue (schon vorbereitete) Maßstäbe für die weitere Zivilisationsentwicklung gesetzt.

Mit den Grundrechten zu Beginn (Menschenwürde, Gleichheit vor dem Gesetz, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit) sowie der Gewaltenteilung und dem Sozialstaatsgebot, aber auch mit dem Allgemeinwohlgebot des Eigentums und den Möglichkeiten der Vergesellschaftung privaten Eigentums (keine Festlegung auf eine Wirtschaftsordnung), der föderalen Struktur der Republik, der Abschaffung der Todesstrafe und einer wesentlich repräsentativen Rolle des Bundespräsidenten, sind die verfassungsmäßigen Grundzüge einer sozialen Demokratie weitgehend verbindlich formuliert.

Diese Grundzüge sind immer wieder juristisch, politisch, sozial und kulturell zu verwirklichen.

Das gilt (idealtypisch) nicht nur für staatliches Handeln, sondern auch für das (mögliche) Handeln der aktiven StaatsbürgerInnen.

In diesem Sinne versteht Heribert Prantl (s.o.) auch den eingreifenden Gebrauch der Presse- und Meinungsfreiheit – als positive Grundrechte, die Alle so verstehen und in Anwendung bringen können.

Dieses praktische Verständnis von positiv verstandener Freiheit gilt in besonderer Weise in Zeiten, wo Ansprüche, Maßstäbe und Errungenschaften, die 1945 verwirklicht werden sollten – und stets fortgesetzt realisiert werden sollten –, durch rechte politische Kräfte grundsätzlich in Frage gestellt werden (sollen). Die Afd ist verfassungsfeindlich.

Somit steht nicht die Vernichtung von Grundrechten auf der gesellschaftlichen Tagesordnung, sondern vermehrt ihre aktuelle und hinkünftige Verwirklichung. Soziale Humanität sei der Maßstab. Alle haben dafür Bedeutung. Dabei sollte auch durchdachter Humor nicht fehlen.

FAS: Würden Sie sagen, dass es für die Zeitlosigkeit von Humor entscheidend ist, unpolitisch zu sein?

Reilly: Ich habe nicht gesagt, dass Laurel und Hardy nicht politisch waren. Sie nahmen nur keinen direkten Bezug auf politische Ereignisse. Witze über den amerikanischen Präsidenten Herbert Hoover hatten sie nicht nötig, weil sie anderes, Größeres im Sinn hatten. Mir erscheint ihr Humor nämlich durchaus politisch: einfach weil er unglaublich humanistisch ist. Für mich war die Botschaft ihrer Sketche immer: Egal, wie chaotisch, nervig oder anstrengend Menschen sein mögen, sind sie doch stets liebenswert. Jeder ist einzigartig und verdient Liebe und Würde. Das ist doch – gerade vor dem in den 1930er Jahren aufziehenden Faschismus – durchaus ein politisches Statement.“

Der Schauspieler John C. Reilly im Gespräch mit „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 5. 5. 2019, S. 11.

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Inklusion
Freiheit, Gleichheit, Solidarität

„Das Gesetz in seiner majestätischen Gleichheit verbietet es Reichen wie Armen, unter Brücken zu schlafen, auf Straßen zu betteln und Brot zu stehlen.“

Anatole France (1844 – 1924), eigentlich François Anatole Thibault, französischer Erzähler, Lyriker, Kritiker und Historiker, Nobelpreisträger für Literatur 1921. Quelle: A. France, „Die rote Lilie” („Le lys rouge”), 1894.

 

„Die »Identitätspolitik«, die Angehörigen von Minderheiten immer wieder vorgeworfen wird, ist jene Politik der Diskriminierung, die sie überhaupt erst zu einer sozialen Minderheit gemacht hat. Es wird gern suggeriert, Angehörige von Minderheiten beharrten auf festen, essenziellen Identitäten, sie operierten mit Begriffen von Kollektivität, sie sonderten sich selbst aus oder, noch schlimmer, sie grenzten die »normalen«, die mit der Körpergröße von über 1,85 Metern aus. Zu den mehr oder minder mutwilligen Missverständnissen über »Identitätspolitik« gehört die Unterstellung, Angehörige von Minderheiten lehnten liberale Gesellschaftsmodelle oder universale Prinzipien ab, weil sie Werte kulturell relativierten. Das Gegenteil ist üblicher: Um Diskriminierung zu kritisieren, braucht es keine aufgeladenen Konzepte von essenzieller Identität, sondern gerade eine Orientierung an den universalen Prinzipien von Freiheit und Gleichheit. Allein: Um eine konkrete Diskriminierung zu belegen, braucht es eine dichte Beschreibung der Art und Weise, in der benachteiligt wird – und da kommen dann Hinsichten wie Körpergröße oder Hautfarbe ins Spiel.“

Carolin Emcke, „Rassismus / Raus bist Du“, „Süddeutsche Zeitung „(SZ“), 13. 5. 2019.

Sind diejenigen, die (soziale) Ungleichheit, Diskriminierungen und besondere Benachteiligungen kritisieren, ursächlich oder schuld an – zu beseitigenden – Übeln oder die Betroffenen bzw. Überbringer unangenehmer Tatsachen?

Das Grundgesetz stellt zu Beginn die Menschenwürde (Artikel 1), die Gleichheit vor dem Gesetz (Artikel 3, Satz 1), die Allgemeinwohlbindung des Eigentums (Artikel 14, Satz 2) und daß niemand wegen seiner politischen Weltanschauung (auch Religion oder Behinderung) benachteiligt werden dürfe (Artikel 3, Satz 3); die Bundesrepublik Deutschland gilt als demokratischer und sozialer Rechtsstaat (Artikel 20, Satz 1).

Stets ist bedeutend, die Kluft zwischen allgemeiner und besonderer Rechtsnorm und der juristischen, politischen, sozialen und kulturellen Praxis zu überwinden.

So läßt sich beispielsweise mit begründetem Zweifel fragen, ob die „Schuldenbremse“ (Artikel 109 und 115, seit 2009) mit dem Sozialstaatsgebot vereinbar ist oder damit, daß laut Urteilen des Bundesverfassungsgerichts keine Wirtschaftsordnung für die Bundesrepublik festgelegt ist.

Auch der Rassismus mancher Politiker (z.B. von CSU und AfD) ist im Gegensatz zu bestimmten Gleichheitsnormen des Grundgesetzes. Und das von einigen selbsternannten „Hütern der Verfassung“.

Ebenso steht die gewachsene soziale Ungleichheit im heftigen Widerspruch zu den sozialen, demokratischen, freiheitlichen und aufgeklärten Schlußfolgerungen aus der Nazi-Diktatur von 1933-1945. Krieg, Gewaltherrschaft, Rassismus, Unrecht und soziales Elend sollten nicht mehr sein. Für die Verwirklichung humaner Grundsätze ist bisher von Vielen viel getan worden. Dieser Einsatz ist immer von besonderer und allgemeiner Bedeutung. Nicht die sogenannten Nörgler sind das Problem, sondern das, was zu recht kritisiert wird und positiv verändert werden soll.

Daran sei erinnert. Aus der Geschichte ist zu lernen. Sie bildet praktische Maßstäbe für Gegenwart und Zukunft. Es gibt ein richtiges Leben gegen das Falsche. Von Vielen für Viele.

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Zur Wahl
Mehr als wählen!

„Das Strache-Video, der Strache-Rücktritt – das verändert den Europawahlkampf, nicht nur in Österreich. Mit diesem Skandal, mit diesem Rücktritt bricht der erste große Stein aus der Mauer des populistischen Extremismus in Europa. Das Rumpeln und Krachen des stürzenden Steins hören nicht nur die Wählerinnen und Wähler in Österreich, sondern auch die in Deutschland, Frankreich und Italien. Aus einem viel zu laschen Europawahlkampf wird auf den letzten Metern ein unglaublich spannender Wahlkampf.“

Heribert Prantl, „Der Strache-Skandal verändert den Europa-Wahlkampf“, „Süddeutsche Zeitung“ („SZ“), 19. 5. 2019.

 

„Es ist ein frommer Wunsch, dass die ökonomischen, sozialen und kulturellen Faktoren, die zur Fragmentierung der westlichen Gesellschaften und deren Parteiensystem geführt haben, an Dynamik verlieren.“

Daniel Deckers, „Kein Zurück“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), Leitkommentar S. 1, 20. 5. 2019.

 

Hamburger Abendblatt: Auf dem neuen Album sind viele politische Stücke.
Udo Lindenberg: In Deutschland müsste man vor dem Hintergrund von zwei Weltkriegen friedenspolitisch ganz anders drauf sein und nicht sagen, wir machen mit bei dem Zwei-Prozent-Ziel der Nato. Wir müssen das Wort »Abrüstung« mal wieder hören, nicht immer nur Aufrüstung. Ist egal, ob sie die Leute in Saudi-Arabien in Salzsäure auflösen, dahin werden munter Waffen verkauft. Hauptsache, die Knete stimmt. Make America rich again, heißt es nämlich auch. Das ist pervers, das Verbrechen an der Menschlichkeit passiert jeden Tag. Und jeden Tag fallen Menschen diesem Krieg zum Opfer. Jeder, der nichts dagegen tut, trägt das mit. Die stumme Armee muss aufwachen. Wir in Europa müssen sagen, dass wir den Scheiss nicht mitmachen. Je eher, je besser. Wir brauchen ein starkes Europa und eine starke Friedensbewegung. Und wir können viel ändern. Wir sind sehr, sehr viele.“

Udo Lindenberg im Gespräch mit dem „Hamburger Abendblatt“, 17. 5. 2019 (sein 73. Geburtstag), S. 10.

Eine bemerkenswerte Bewegung: Selbst nach den offiziellen Angaben der Polizei haben am vergangenen Sonntag allein in Hamburg 12.000 Menschen gegen Rechtsextremismus und Nationalismus demonstriert.

Das ist – neben Großdemonstrationen zum selben Zweck in vielen anderen Städten und Ländern – eine vielfältig klare Aussage.

Der Neoliberalismus ist eigentlich am Ende. Um aber Krieg und Kriegsgeschäfte, soziale Enge und Kapitalbegünstigung weiterhin zu bewahren bzw. politisch, sozial und kulturell durchzusetzen, werden aggressiv Nationalismus, Rassismus, ein erzkonservatives Kulturverständnis und ein gegenaufklärerisches Menschenbild auf das Feld der gesellschaftlichen Auseinandersetzung geführt.

Diese dumpfe Politik, die ebenso die positiven Lehren aus der Geschichte leugnet, ist massiv gegen sozialen, demokratischen und kulturellen Fortschritt gerichtet.

Die Verwirklichung der Menschenwürde bedarf aber der aktiven Verwirklichung von Frieden (siehe Udo), der mehr ist als die Vermeidung von Krieg, bedarf internationaler Solidarität, des Sozial-, Bildungs- und Kulturstaates, eines vernünftigen Gesundheitssystems, sinnvoller Arbeit, hinreichender Bezahlung, aufgeklärter Menschen in großer Zahl und nicht zuletzt der echten Freude am und im Leben.

Dafür haben wir die Wahl. Sie beginnt mit einer neuen Meinungsbildung, einer begründeten Wahlentscheidung – und geht über den Wahltag (welchen auch immer) hinaus. Persönlich, gemeinsam und weltweit. Noch einmal: Es gibt das richtige Leben gegen das Falsche. Eine Bedeutungserweiterung ist möglich. Bange machen gilt nicht mehr.

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Aufklärung bleibt hilfreich
Persönlichkeit zu jeder Stunde

„bento: Rezo, warum hast du ein Video zur Politik der Union gemacht?
Rezo: Ich will Leute damit aufklären und dafür sorgen, dass mehr Menschen über die angesprochenen Themen diskutieren. Durch die anstehende Wahl interessieren sich gerade mehr Leute für Politik, deswegen hat sich der Zeitpunkt angeboten. Aber ich kann jetzt schon sagen,dass meine Erwartungen übertroffen wurden. (...)
bento: An einigen Stellen verkürzt du Zusammenhänge und tust so, als würden die Fakten keine andere Deutung zulassen als deine. Beispiel: Am Ende des Wirtschaftsteils sagst du, dass die soziale Ungleichheit »nüchtern betrachtet das Ergebnis vom Kurs der CDU« sei. Müsstest du nicht klarer machen, dass das deine Interpretation von Fakten ist, keine unumstößliche Wahrheit?
Rezo: Ich denke nicht, dass das eine Interpretation ist. In der angesprochenen Zeit waren hauptsächlich die CDU und mit ihr die SPD in Deutschland an der Macht. Und damit war es ihre Aufgabe, die Stellschrauben der Politik so zu stellen, dass zum Beispiel die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter auseinander geht.“

Der Youtuber Rezo im Interview mit „bento“ („SPIEGEL“), 23. 5. 2019.

 

„Obwohl auch die Grünen inzwischen einen langen Marsch durch die Institutionen hinter sich haben, auf dem sie vom einer Revoluzzer-Bewegung zu einer systembejahenden Partei wurden (die sie nie hatten werden wollen), ist ihnen das Gespür für den Zeitgeist nicht abhanden gekommen.“

Berthold Kohler, „Das Gespür der Grünen“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung („FAZ“), 28. 5. 2019, Leitkommentar S. 1.

 

„Was die arbeitenden Klassen anbetrifft, so ist es eine noch sehr bestrittene Frage, ob ihre Lage sich infolge der Vermehrung des angeblich öffentlichen Reichtums verbessert hat.“

Karl Marx, „Das Elend der Philosophie“, 1847, Marx-Engels-Werke (MEW), Band 4, S. 123.

Bücher

„Wenn der Mensch
von den Umständen
gebildet wird, so muß
man die Umstände
menschlich bilden.“

Karl Marx/Friedrich Engels,
„Die heilige Familie“
1844/45, MEW 2, S.138.

In der EU, in Bremen und für die Bezirke in Hamburg wurde politisch gewählt. Die Ergebnisse sind insgesamt wenig befriedigend.

In der EU gibt es keine klare (positive) politische Mehrheit, in Bremen kann Rot-Grün nicht fortgeführt werden; in Hamburg haben die Grünen die SPD vom ersten Platz geschubst, CDU und AfD sind schwach, die FDP kann ihr Ergebnis leicht verbessern, ebenso Die LINKE.

Was folgt daraus?

Bemerkenswert sind die erhöhte Aufmerksamkeit, die Politisierung der Wahlen sowie eine dadurch gestiegene Wahlbeteiligung.

Dies sind Faktoren, die jetzt und weiterhin, nach den Wahlen, nicht wesentlich kleiner werden sollten.

Die engagierte Aufklärung, „dass mehr Menschen über die angesprochenen Themen diskutieren“, der Einsatz in Parteien, Gewerkschaften, Initiativen, sozialen Bewegungen und in der Interessenvertretung in Betrieben und öffentlichen Einrichtungen (z.B. Schulen und Hochschulen) gewinnt an Möglichkeiten und Bedeutung – der Alltag wird erfreulicher und kultivierter, Persönlichkeiten richten sich auf und wenden sich einander zu.

Die soziale und kulturelle Realität kann und muß verbessert werden. Frieden, Klimaschutz und internationale Solidarität stehen zunehmend auf der Tagesordnung. Gesellschaftliche Gestaltung geht Alle an und geht über den Wahlakt hinaus. Dabei ist hilfreich, wenn Aufklärung, solidarisches Handeln und die Entwicklung der Persönlichkeit gemeinsam in problem- und systemkritischer Tendenz unternommen werden.

Das gilt auch für die Überwindung der sogenannten Schuldenbremse, für einen ausreichend finanzierten Sozial-, Bildungs- und Kulturstaat sowie nicht zuletzt ein förderliches Gesundheitssystem. Das Engagement bewegt Alle und Alles.

Wir haben es in der Hand – mit Herz, Freude und Verstand.

www.schluss-mit-austeritaet.de

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Wie rechts darf es sein?
Eine rationale Bewertung

„SPIEGEL: Sie meinen, die CDU muss zurück nach rechts rutschen?
Gauck: Die CDU muss für diesen Typus des Konservativen [„einer CDU/CSU von Dregger und Strauß“] wieder Heimat werden. Deswegen werbe ich im Buch auch für eine erweiterte Toleranz in Richtung rechts. Wir müssen zwischen rechts – im Sinne von konservativ – und rechtsextremistisch oder rechtsradikal unterscheiden.“

Ex-Bundespräsident Joachim Gauck im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ Nr. 25 / 15.6.2019, S.32-38, Hier S. 35.

 

„Denn Maaßen – der Mitglied der 2017 als Verein gegründeten rechtskonservativen Vereinigung [„Werte-Union“] ist – wollte Koalitionen zwischen Union und AfD nur für den Moment ausschließen: »Ich glaube, in der jetzigen Situation werden wir es auch ausschließen, dass es zu einer derartigen Situation kommt, aber man weiß nie.« Ziel sei es, dass die CDU bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen die stärkste Partei werde, sagte Maaßen, der wohl weiß, dass es nicht ausgeschlossen ist, dass die AfD bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen die meisten Stimmen bekommt.“

Heike Schmoll, „Maaßens Gretchenfrage/Soll die Union jemals mit der AfD koalieren?“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 17.6.’19, S. 4.

 

„Sie nennen’s Streit fürs Vaterland, / In welche sie dich treiben.
O Volk, wie lange wirst du blind / Beim Spiel der Gaukler bleiben?
Sie selber sind das Vaterland, / Und wollen gern bekleiben.“ (bekleiben = Festsitzen, fortdauern)

Gottfried August Bürger, „Für wen, du gutes deutsches Volk...“, 1793.

Joachim Gauck vertritt im „SPIEGEL-Gespräch“ (s.o.) die Ansicht, die CDU müsse für einen bestimmten Typus des Konservativen wieder eine Heimat werden. Das gelte für Menschen, für die Sicherheit und gesellschaftliche Konformität wichtiger seien als Freiheit, Offenheit und Pluralität.

Bekämpft man sehr konservative, unaufgeklärte, schädliche Mentalitäten mit rechter Toleranz? Führt diese vermeintliche Toleranz, die ja eigentlich und insgesamt sehr intolerant ist, zur Eindämmung des Falschen oder eher gar zur Bestätigung in Regierungskoalitionen? Ist da nicht etwa aus der Geschichte – beispielsweise aus der Duldung und Unterstützung von Adolf Hitler – zu lernen? Auch klassische Liberale sind dazu eindeutig in der Lage!

Regierungskoalitionen von der CDU mit der AfD sind allerdings (noch?) in der CDU umstritten, wie manche Äußerungen aus diesem politischen Lager oder auch die Wahl des Görlitzer Bürgermeisters zeigen.

Dennoch sind die besten Auffassungen respektive solidarische Aktivitäten gegen harte Ordnung, enges Dasein, Nationalismus, die Verharmlosung oder gar Befürwortung der braunen Nazi-Vergangenheit (1933-1945), gegen Diktatur und Krieg realisiert durch engagierte Menschen auf allen gesellschaftlichen Ebenen, die für ein besseres Leben denken, handeln und einstehen. – Für Frieden, Abrüstung, wirksame Diplomatie, internationale Solidarität, das Bewußtsein und die Verwirklichung des Grundgesetzes, die Rekonstruktion von Sozialstaat, die Schaffung von humanen Lebens-, Arbeits- und Kulturbedingungen sowie für ein freundliches und faires Miteinander, das unmittelbar gut und richtig ist sowie von steigendem allgemeinem Nutzen.

Wenn „gesellschaftliche Konformität“ geordert wird, sind Aufmerksamkeit, Kritik, kooperatives Handeln und auch Satire gefordert. So kommen auch Heiterkeit und Lebensfreude wieder vermehrt in den verordneten Alltag. Jeder Beginn weitet die Möglichkeiten. Souveräne Menschen sind Tatsachen.

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Wahrheit in Aktion
Eine untrügliche Bewegung

„Selbst Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier belehrt die Italiener: Es könne ja sein, dass es italienische Rechtsvorschriften gebe, wann ein Schiff einen Hafen anlaufen dürfe. »Nur: Italien ist nicht irgendein Staat. Italien ist inmitten der Europäischen Union.« Wir aber auch. Es ist nicht solidarisch, wenn deutsche Aktivisten den Beifall bekommen und die Italiener die Migranten.“

Matthias Iken, „Der deutsche Hochmut“, „Hamburger Abendblatt“, 6./7. 7. 2019, S. 9.

 

„Meine Schriften stehen quer zu dem, was konventionell als Literatur gilt. (...) Denn diese Leser, da draußen an der Front, die das Lauffeuer schon versengt hatte, verfügten über eine ganz andere Vorstellung darüber, was Literatur ist oder sein sollte. Ich erwähne das, weil es mich gelehrt hat, dass der Platz der Literatur von Schriftstellern und Lesern gebaut wird. Dieser Platz ist in gewisser Weise fragil, aber unzerstörbar. Wenn er zerbrochen ist, bauen wir ihn wieder auf. Weil wir Schutz brauchen. Ich mag die Vorstellung von einer Literatur, die gebraucht wird, sehr gerne. Eine Literatur, die Schutz bietet. Alle Arten von Schutz.“

Arundhati Roy, „Modis Indien oder Die Schriftstellerin als Staatsfeindin“, „Blätter für deutsche und internationale Politik“, 7’19, S. 69-78, hier S. 71 und 72.

Arundhati Roy ist weder bundesdeutscher Herkunft, noch Staatsbürgerin dieses Landes. Sie ist eine indische – international gelesene – Schriftstellerin und politische Aktivistin. Der obig zitierte Beitrag basiert auf einem Vortrag, den sie auf dem PEN World Voices Festival 2019 gehalten hat.

Ihr Wirken und ihre Rede bringen plastisch zum Ausdruck, daß Wahrheitsfindung, Literatur (Schreiben, Lesen und Weitertragen) eine produktive Einheit bilden können. Dazu gehört auch – sehr geehrter Herr Iken –, daß mancher und manche es besser wissen können, als häufig auf sehr grobschlächtige Weise behauptet wird. (Wer sind „die Italiener“?)

Dazu gehört nicht zuletzt, für die steigernd sich Bereichernden unangenehme Wahrheiten an die Öffentlichkeit zu bringen, damit sie zum kulturell Wertvollen für sinnvolle Handlungsweisen werden, die darauf gerichtet sind, die häufig elenden Lebensbedingungen für die Mehrheit der Menschen zu verbessern. Dafür muß bisweilen in Kauf genommen werden, daß eifrige konservative Lohnschreiber den rechtsextremen Innenminister Italiens, Matteo Salvini von der „Lega Nord“, gegen den eher gemäßigten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) gänzlich ungerechtfertigt in Schutz nehmen.

Das macht aber nichts. Sprache, Literatur und engagierte Reden – auch Polemik und Satire – sind geistige Waffen im Ringen um eine vernünftige Zivilisationsentwicklung respektive eine aufgeklärte soziale und politische Kultur der Gesellschaft(en). Sie sind menschliche Lebensmittel, die in ihrer Qualität keinem Verfallsdatum ausgesetzt sind.

Wort, Wahrheit und Wirkungswille sind humane Tatsachen gemeinschaftlichen Lernens und Handelns. Darauf ist immer Verlaß. So läßt sich jede Furcht überwinden. Menschen können wachsen.

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Naiv?
Persönlichkeit und globales Handeln

„Amerika und Europa können die Golfregion aus eigenem Interesse nicht anderen Akteuren überlassen – weder einer anderen externen Macht, in etwa Russland, noch weniger der Islamischen Republik Iran, denn eine Pax Iranica würde die heutige Ordnung einer Region gefährden, in der die Hälfte der bekannten Ölvorkommen liegen.“

Rainer Herrmann, „Die Herrschaft am Golf“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 15. 7. 2019, Leitkommentar S. 1.

 

„THUNBERG: Das kriege ich ja ständig zu hören. Dass man mich manipulieren würde und man Kinder nicht für politische Zwecke einspannen soll. Dass ich nicht allein für mich denken kann und so weiter. Das ärgert mich sehr. Warum sollte ich dazu nicht in der Lage sein und versuchen, die Einstellung der Menschen zu verändern? Du hörst das aber sicher auch oft: dass du zu jung seist und zu unerfahren. Wenn ich sehe, wie viel Hass dir entgegenschlägt, weiß ich wirklich nicht, wie du es schaffst, so stark zu bleiben.
OCASIO-CORTEZ: Wegen der großen Kluft zwischen Arm und Reich halten viele in den USA die Wall Street für eine sehr mächtige politische Kraft. Ganz regulär dürfen Politiker Wahlkampfspenden in einer Höhe annehmen, die wahrscheinlich deutlich über dem liegt, was im Rest der Welt üblich ist. Weniger bekannt ist dabei, wie stark die Fossile-Treibstoff-Lobby ist. Die Koch-Brüder haben bei uns praktisch die gesamte Republikanische Partei gekauft. Ihr Geld haben sie mit Öl und Gas gemacht. Daher stammt ihr Reichtum. Das ist es, wogegen wir angehen. Die Stärke des Widerstands zeigt die Macht, die wir herausfordern. Die Schwierigkeit besteht darin, trotzdem nicht den Mut zu verlieren. Das zeigt, wie stark wir sind: Wir nehmen es damit auf und können tatsächlich eine Bewegung in Gang bringen.“

Greta Thunberg, schwedische Aktivistin gegen den Klimawandel, und Alexandria Ocasio-Cortez, US-amerikanische Kongreßabgeordnete für die Demokraten aus New York, im Gespräch: „Freitag“, 11. 7. 2019, S. 6 – 7, hier S. 6.

Zu alt oder zu jung? Zu naiv oder zu gerissen? Zu sachlich oder zu moralisch? Zu ruhig oder zu aufgeregt? Zu weiblich oder zu männlich? Zu dick oder zu dünn? Zu bescheiden oder zu anspruchsvoll? Zu schlicht oder zu kompliziert?

Egal – irgendetwas läßt sich von interessierter konservativer, geschäftlicher, bänglicher oder oberflächlicher Seite stets anführen bzw. behaupten, daß die Kritik am negativ Bestehenden unangemessen respektive unzutreffend und nicht zu berücksichtigen sei.

Die Kräfte, Kreise und Subjekte der starren Beharrung in Politik, Medien und Wirtschaft sind geübt darin, nach gewohnten Mustern Kritik, Widerstand und Alternativen sowie die entsprechend Handelnden abzuwerten und für abseitig zu erklären. Das ist meist nicht sehr klug, aber häufig sehr massiv und gestützt auf Vorurteile.

Denn sollten die InitiatorInnen für eine positive zivile Entwicklung bzw. die Lösung der wesentlichen gesellschaftlichen Probleme (Frieden, ein reproduktives Mensch-Natur-Verhältnis, Überwindung des Grabens zwischen Arm und Reich, ein aufgeklärtes gesellschaftliches Miteinander) tendenziell Mehrheiten überzeugen und bewegen, dann, ja dann ist es Aus mit Krieg, Umweltzerstörung, Demut und Elend; auch Aus mit groben Geschäften, leichtfertigen Boni, dummen Kommentaren und Champagner aus High Heels. Vernunft kehrt ein durch die Vernünftigen und breitet sich unaufhörlich aus. Es bedarf der überzeugten Persönlichkeiten und des entsprechenden Zusammenwirkens – an jedem Ort, zu jeder Zeit, unbeirrt und auch global.

Ebenso die Wissenschaften können dabei eine produktive Rolle spielen. Mit der Freiheit zur Verantwortung. Wäre das nicht exzellent?

„Hoffnung ist etwas, das man schafft, indem man etwas tut. Hoffnung ist etwas, das man in der Welt bekunden muss. Und sobald eine Person Hoffnung hat, kann das ansteckend sein. Dann beginnen auch andere so zu handeln, wie man selbst es tut, wenn man glaubt, dass Veränderung möglich ist.“

Alexandria Ocasio-Cortez, a.a.O.

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Völkisch ist nicht „bürgerlich“
Die AfD hat eine große Alternative

FAZ: Was bedeutet der Begriff [„bürgerlich“] für Sie?
Gauland: Er hat eine lange Geschichte. Heute bedeutet er, dass man den Nationalstaat – wie schon Ralf Dahrendorf sagte – für den Resonanzboden von Freiheit, Recht und Demokratie hält. Das man nicht den Versuch macht, auf übernationale Konstrukte auszuweichen. Dass man die Eigentumsordnung und die rechtliche Grundordnung respektiert. Dass man nicht auf die Idee kommt, mit einer Ökodiktatur die Mobilität einzuschränken. Dass man nicht auf die Idee kommt, Wohnungsbaugesellschaften zu enteignen. Das sind alles unbürgerliche Dinge.
FAZ: Stimmen Sie zu, dass der Gegner des Bürgerlichen, des Konservativen immer der Radikale, der Revolutionär sein muss?
Gauland: Ja. Das Gegensatzpaar: Das Revolutionäre, das Utopische, das Nicht-Skeptische, das Die-Gesellschaft-verändern-Wollen, das halte ich nicht für bürgerlich.“

AfD-Vorsitzender Alexander Gauland im Gespräch mit der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ („FAZ“), 9. 9. 2019, S. 2.

 

„Smalltalk ist so etwas wie Schmierfett im Sozialbereich, er schafft eine geschmeidige Stimmung zwischen Menschen, die sonst unverbunden und knirschend nebeneinander stehen würden wie die unterschiedlichen Teile eines Getriebes. Die Voraussetzung: unverfängliche, unkomplizierte Themen, zu denen alle den gleichen Zugang haben.“

Julia Schaaf, „Das Ende der Unschuld / Jetzt kann man nicht mal mehr über das Wetter reden: Wie der Klimawandel den Smalltalk ruiniert. Und was das alles mit der AfD zu tun hat“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 8. 9. 2019, S. 9.

 

„Wer recht sehen will, was der Mensch tun könnte, wenn er wollte, darf nur an die Personen gedenken, die sich aus Gefängnissen gerettet haben oder haben retten wollen. Sie haben mit einem einzelnen Nagel so viel getan, wie mit einem Mauerbrecher.“ (124)

Georg Christoph Lichtenberg, „Sudelbücher“, Heft K, 1793-1796.

Als bürgerlich mag – kritisch gemeint – das Etablierte, Gemäßigte und Systembewahrende gelten, allerdings halbwegs kultiviert und zumindest formaldemokratisch.

Als bürgerlich mag – positiv verstanden – die Befürwortung des Grundgesetzes mit seinen Grundrechten gelten, soziale Verantwortung, kultureller Anstand und nicht zu lügen (wo es geht).

Als bürgerlich mag – historisch verstanden – die Aufklärung, die Menschenrechte, die Völkergemeinschaft, die Gleichheit vor dem Gesetz (auch bisweilen soziale Gerechtigkeit), die Kriegsablehnung und die Wahrheitsliebe und -findung gelten.

All das trifft auf die AfD ganz gewiß nicht zu. Sie marschiert mit dem Erstarken des „Flügels“ auf das Braune (1933-1945) zu. Deshalb wird der „Flügel“ seit Februar diesen Jahres sogar vom Verfassungsschutz beobachtet, mit der Begründung: „Das durch den »Flügel« propagierte Politikkonzept ist primär auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten und politisch Andersdenkenden gerichtet. Es verletzt alle Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die Menschenwürdegarantie sowie das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Die Relativierung des historischen Nationalsozialismus ist zudem prägend für die Aussagen der »Flügel«-Vertreter.“ Wenn schon der Verfassungsschutz zu solchen klaren Aussagen und Konsequenzen kommt, kann bei der AfD von „bürgerlich“ (s.o.) nicht im Geringsten die Rede sein.

Gegen den braunen Ungeist stehen insgesamt die Friedensbewegung, das Engagement für soziale Gerechtigkeit, ein aufgeklärtes Menschenbild und die nahe und weite Solidarität, ein tatsächlich rationales Verhältnis zur Natur, eine kooperative Kultur, Wahrheit und gemeinsame Lebensfreude sowie die Bedeutung des Menschlichen. Das mag alles zusammenwirken. Die Zeit des Smalltalks ist vorbei.

Selbst der Bürger Thomas Mann konstatierte:

„Nie hat eine Revolution, deren Namen kein unverschämtes Gaukelspiel war, die Sache der Lüge, des Unrechts und der Knechtschaft geführt, noch kann sie es jemals tun.“

Thomas Mann, „Die Wiedergeburt der Anständigkeit“, 1931.

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Worin besteht Heilung?
Eine Erkundung

„Ärger mit dem Chef, Einsamkeit nach einer zerbrochenen Partnerschaft, Trauer um einen geliebten Menschen, Arbeitsverdichtung und Leistungsdruck bis zum Burnout, depressive Verstimmungen oder der Wunsch, sich einfach »gut« zu fühlen – Gründe warum Menschen zur Flasche greifen, Tabletten einnehmen, Rauschmittel schnupfen, rauchen oder spritzen, gibt es unzählige. Oft steckt eine Art Flucht dahinter: Das Suchtmittel dient dazu, Probleme zu bewältigen oder bestimmte Situationen erträglicher zu machen. (...) Mit wiederholtem Gebrauch steigt das Verlangen nach der Wirkung, so dass man immer mehr konsumiert.“

Stefanie Hutschenreuter, „Der Sucht auf der Spur“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), Anzeigensonderveröffentlichung, 15.9.2019, S. V1.

 

„In einem System, in dem es darum geht, viel Geld zu verdienen, indem man möglichst viel Technik anwendet, und in dem möglichst wenig geredet, zugehört und gepflegt wird, ist der besorgniserregende Zustand der Kindermedizin keine Überraschung. (... ) Das, was Kinder instinktiv verlangen, sollte dem gesamten Gesundheitssystem bei künftigen Entscheidungen als Maßstab dienen.“

Lucia Schmidt, „Medizin ohne Empathie“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 14.9.2019, Leitkommentar S. 1.

 

„Der Psychoanalytiker wird arbeitslos, wenn der Patient Arbeit bekommt. Für den Armen ist das ein fast unlösbares Problem. Wenn er nicht verdient, braucht er Psychoanalyse, kann sie aber nicht erschwingen. Wenn er verdient und sie erschwingen kann, braucht er sie nicht mehr. Eine Art Lösung wäre es, wenn er, so lange er Arbeit hat, in eine Kasse einzahlte, aus der er, wenn er arbeitslos wird, eine Behandlung finanziert bekäme. Und daß er immer einmal wieder arbeitslos werden wird, kann ihm jeder Astrologe bestätigen, es steht in seinen Sternen.“

Bertolt Brecht, „Briefe an einen erwachsenen Amerikaner“, etwa 1946.

Weder die Welt, die krank macht, ist im Lot, noch die Medizin, die gesund machen soll, ist wirklich heilend. Pillen allein reichen bei weitem nicht aus. Ein Teufelskreis?

Nein, denn die Suchtflucht ist ein Problem, das Probleme deutlich macht: In einem System, in dem der Mensch ein Ding sein und lediglich – „harmlos, doof und leis“ (Kurt Tucholsky) – funktionieren soll, bleibt das menschliche Wesen leidend auf der Strecke. Das gilt auch für die streng formalisierte Leistungsstruktur des noch immer nicht hinreichend reformierten Bachelor-/Master-Systems.

Sinnvolle Arbeit, eine kooperative Arbeitsweise, eine lebendige Mitbestimmungspraxis, hinreichende soziale Absicherung, menschenwürdige, bedürfnisgerechte und erschwingliche Wohnverhältnisse, aufgeklärte Bildung und Kultur sowie eine Medizin, die zuhört, pflegt, heilt und die Patientinnen und Patienten als eigenständige Persönlichkeiten wahrnimmt, die Beendigung von Kriegen, zivile Konfliktregulierung, solidarische internationale Beziehungen, ein freundlicher Alltag, ein tatsächlich rationales Verhältnis zur Natur, gesunde Nahrung sowie die Begrüßung der Vielfalt von Seinesgleichen und politisches gemeinsames Handeln in diesem Sinne: Darin besteht die Realisierung menschlicher gesellschaftlicher Bedürfnisse.

Mit vielen Aktivitäten, die in jüngster Vergangenheit wachsen, werden diese Bedürfnisse immer anspruchsvoller erkannt und in die Tat umgesetzt. Für den Frieden, zur Regulierung des Klimawandels, in internationaler Solidarität, für bessere Arbeitsbedingungen sowie für das Streichen der „schwarzen Null“.

Auch die Wissenschaften sind hier gefordert, den noch immer mageren Boden ihrer Bescheidenheit zu verlassen. Neue Felder sind zu bestellen. Eine gute Ernte ist gewiß.

Zum Schluß noch ein Hinweis, der gemeinsam beherzigt werden kann:

SPIEGEL: Wie kommen Sie mit dem Vorwurf zurecht, Sie seien ein Verräter?

Snowden: Man muss davon überzeugt sein, dass das, was man macht, einem guten Zweck dient. Es reicht nicht, lediglich an etwas zu glauben, wenn man Dinge verändern will. Man muss auch in der Lage sein, Risiken einzugehen.“

Der Whistleblower Edward Snowden im „SPIEGEL-Gespräch“, „SPIEGEL“ Nr. 38/14.9.2019, S.80 – 83, hier S. 82.

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Ökologisch geht nur sozial
Eine notwendige Verbindung

„Denn es genügt nicht mehr, wenn nur die Richtung stimmt und der Wille da ist. Die Wirkung muss garantiert sein. Warum der UN-Generalsekretär darauf besteht, lässt sich an den Entwicklungen in Paris gut zeigen, politisch wie physikalisch. Anspruch und Wirklichkeit driften immer weiter auseinander. Beispielhaft für das politische Gebrechen der Klimapolitik war der Tweet des amerikanischen Ölkonzerns Exxon, der zum Start in die Klimawoche provozierend selbstbewusst seine Erfolgsmeldung platzierte: Wir haben neues Öl in Guayana entdeckt, ließ der wichtigste Erdölpartner der amerikanischen Regierung triumphierend wissen, und: »Was für eine aufregende Energie-Zukunft Guayana hat.« Einerseits also werden Fakten geschaffen. Auf der anderen Seite gehen weltweit Millionen Menschen auf die Straße, angetrieben von der Zukunftsangst der Jugend, und fordern ein möglichst schnelles Ende ebenjener Öl- und Kohleeuphorie der Vergangenheit.“

Joachim Müller-Jung, „Nägel mit Köpfen“, „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ („FAZ“), 23. 9. 2019, Leitkommentar S. 1.

 

„Die Gretchenfrage heißt: Was ist sozial? Wer hat die Macht, soziale Begründungen zur Durchsetzung von Preisvorteilen geltend zu machen?“

Rainer Hank, „Was ist eigentlich sozial? / Warum Mieten gedeckelt werden dürfen, Löhne aber nicht“, „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ („FAS“), 22. 9. 2019, S. 22.

 

„Nationalökonomie ist, wenn die Leute sich wundern, warum sie kein Geld haben.“

Kurt Tucholsky, „Kurzer Abriß der Nationalökonomie“, 1931.

 

„Wenn wir den gesetzlichen Achtstundentag immer wieder fordern, obgleich diese Forderung in den heutigen Parlamenten völlig aussichtslos ist, so deshalb, weil sie gerade auf der Linie der fortschrittlichen Entwicklung der Produktivkräfte, der Technik, der internationalen Konkurrenz des Kapitalismus liegt.“

Rosa Luxemburg, „Friedensutopien“, Leipzig, 6. Mai 1911.

Wenn die – auch wissenschaftlich begründeten – Warnungen beachtet bzw. die entsprechenden Vorschläge, Forderungen und Konzepte für einen wirksamen ökologischen Umbau von Energieerzeugung, Produktion, Gütertransport, Mobilität und Energie sparendes Wohnen umgesetzt würden, könnte der gefährliche Klimawandel stark minimiert und die soziale Lage der Mehrheit der Bevölkerung – volkswirtschaftlich und international sinnvoll – verbessert werden.

Die öffentliche Rückgewinnung der Energieerzeugung und Energienetze begünstigte die Umwandlung der Energieproduktion in regenerative Energieformen. Der Ausbau und die günstige Preisgestaltung des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs verringerte die Massen des Individualverkehrs und brächte mehr Güter von der Straße auf die Schiene. (Die Nähe vom Arbeitsplatz zum Wohnort bzw. die bessere Anbindung des ländlichen Raums zur Stadt hätte den ähnlichen Effekt.) Das Gleiche gilt für die ökologische Änderung der Antriebsart bei Automobilen – verbunden mit besserer Energieerzeugung – sowie den Bau verbrauchsärmerer, weniger PS-starker sowie preisgünstigerer Modelle. Die Beendigung von Kriegen, Rüstungsexporten in Krisengebiete (fast alle Regionen der Welt) und der Aufrüstung setzte Potentiale frei für die zivile Entwicklung, die ökologische Produktion und ebenso für die Investitionen entsprechender gesellschaftlicher Aufgaben (z.B. intakte Verkehrswege). Höhere Steuereinnahmen bei denen, die es haben (z.B. eine Finanztransaktionssteuer) und das Lösen der „Schuldenbremse“ ermöglichten Investitionen in Bildung, Gesundheit, Soziales, Kultur sowie Sanierung, Pflege und Ausbau der allgemeinen Infrastruktur. Das wäre zudem ein Konjunkturprogramm, verbesserte die allgemeine Kultur der Gesellschaft, die soziale Lage der Mehrheit der Bevölkerung und trüge ebenso zur sozialen Ökologisierung bei.

So gesehen sind die genannten Forderungen und Konzepte sinnvoll und nützlich. Sie können noch stärker miteinander verbunden und sollten mit unausgesetztem Nachdruck gefordert werden. Wenn die notwendigen Ansprüche wachsen, befinden sie sich im Gegensatz zum Verzicht.

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Jakobinersperling